Pressedokumentation
Teheran/ Freiburg 2010
In Zusammenarbeit mit dem iranischen Autor Mohammad Charmshir hat sich das zweisprachige Ensemble um den Regisseur Stephan Weiland mit dem tausend Jahre alten „Buch der Könige“ auseinandergesetzt. Auf der Suche nach dem Vertrauten im Fremden und dem Fremden im Vertrauten ist ein Theaterabend entstanden, der einzelne Motive und Situationen aus dem Schahnameh herausgreift und sie mit der jeweiligen Erfahrungswelt beider Kulturen konfrontiert. Durch die Zweisprachigkeit tritt die emotionale Qualität des Spiels in den Vordergrund und führt nicht nur zu einer großen Intensität, sondern auch zu fantastischen theatralen Bildern.
Das persische „Buch der Könige“ ist voll von Geschichten, die immer und immer wieder erzählt werden müssen, weil sie so unbegreiflich sind. Von Ferdousi im 10. Jahrhundert gesammelt, in hochartifizielle Dichtung gebracht und aufgeschrieben, nimmt das Schahnameh die bis dahin nur mündlich überlieferten Geschichten auf. Es finden sich darin viele Analogien zur griechischen Mythologie, zu den Epen Homers, selbst zum Hildebrands- und Nibelungenlied. In Deutschland heute weitgehend unbekannt, gehört das Schahnameh im persischen Kulturkreis zur alltäglichen Sprach- und Bilderwelt.
Synopsis der wichtigsten Teile des Shahnameh
Von Alireza Morshed
"Du brauchst etwas, was dich mit der Welt verbindet,
sonst wirft man dich einfach weg.“
Ein Kind wird ausgesetzt, weil es weiße Haare hat. Ein Vater tötet seinen Sohn, weil er ihm auf dem Schlachtfeld auf der Seite der Feinde gegenüber tritt. Ein junger Mann wird in einen Brunnen eingesperrt, weil er sich in die falsche Frau verliebt hat. „Ist es besser, man bleibt ungeboren, solange diese Welt es nicht gut mit einem meint?“
Eine Gruppe von Schauspielern betritt die Bühne. Sie suchen nach einem Weg, die alten Geschichten aus dem Shahnameh zu erzählen. Bruchstücke, Erinnerungen, Fetzen. Bis eine Zeitreise durch die Jahrtausende sie dorthin bringt, wo eine der Geschichten beginnt: Wie Zal, wegen seiner weißen Haare als Kind von seinem Vater in der Wildnis ausgesetzt, von Simurgh, dem Vogel aus dem Mythos, gerettet wird. Zal ruft Simurgh erneut um Hilfe. Sie schenkt ihm alle ihre Federn, damit er die Welt vor kommenden Katastrophen bewahren kann. Doch Simurgh warnt Zal. Wenn er die letzte Feder benutzt, wird sie sterben. Aber Zal ist voller Hoffnung auf eine gerechte Welt.
Simurgh zeigt Zal Stationen einer Reise in seine zukünftige Vergangenheit: Die Schauspieler spielen die Geschichte von 'Rostam & Sohrab', in der Vater und Sohn zum tödlichen Kampf gegeneinander antreten. Vergeblich versucht Zal durch das Verbrennen einer Feder den Verlauf dieser tragischen Begegnung zu verändern. Doch der Sohn stirbt in seinen Armen. Zal beschließt, fortan dem Schicksal nicht mehr zu gehorchen. Simurgh zeigt ihm die Geschichte des Prinzen Siyawosch, den seine Stiefmutter Sudabeh aus enttäuschter Liebe der Blutschande bezichtigt. Zal ist glücklich, dass Siyawosch die Feuerprobe übersteht, um seine Unschuld zu beweisen, aber Simurgh weiß, dass er doch eines Tages das Opfer von Intrigen werden wird. Zal ist müde. Verzweifelt legt er sich schlafen. Wildschweine bedrohen ihn im Traum. Bijan, ein junger Held, kämpft gegen sie, trifft auf Manijeh, Prinzessin aus feindlichem Land und wird in einem Brunnen eingesperrt, der Verzweiflung preigegeben. Wieder verbrennt Zal eine von Simurghs Federn.
Eine letzte Feder ist schließlich übrig geblieben und eine letzte Geschichte: 'Rostam & Esfandiyar'. Dieses Mal entscheidet sich Zal, die Feder zum Töten einzusetzen.
2002 nahm das Theater im Marienbad erstmals Kontakt zur Theaterszene in Freiburgs Partnerstadt Isfahan auf. Im Herbst 2003 reiste das freiburger Ensemble mit "Parzival" von Tankred Dorst und dem Kindertheaterklassiker "Die Geschichte vom Onkelchen" nach Isfahan und Teheran und veranstaltete mit den iranischen Theaterorganisationen DAC und KANOON ein Symposium, Workshops und Autorengespräche. Weitere Gastspiele in Isfahan und beim jährlichen Fadjrfestival in Teheran folgten. Mehrmals gastierten iranische Gruppen in Freiburg, das Theaterfestival "Glauben" 2006 zeigte eine iranische Auftragsproduktion, Vortragsreihen und Matineen ergänzten den Austausch. Zeitgleich schlug das DAC dem künstlerischen Leiter des Theaters im Marienbad, Dieter Kümmel, eine Koproduktion mit gemischtem Ensemble nach dem persischen Nationalepos, Ferdowsis "Buch der Könige - Shahnameh", vor. Die Kulturstiftung des Bundes sowie das Goethe Institut unterstützten das Projekt. Die Konzeptionsphase, in die u. a. der iranische Autor Mohammad Charmshir, Farhad Mohandespour (Dramaturgie), Roland Söderberg (Szenographie) und Guus Ponsioen (Musik) eingebunden waren, musste durch Dieter Kümmels schwere Krankheit zeitweise unterbrochen werden. Nach seinem Tod fand die gemeiname Arbeit unter der künstlerischen Leitung von Stephan Weiland ihre Fortsetzung. Nach Proben im Herbst 2009 in Teheran und Freiburg kam "Simurghs letzte Feder" in deutscher und persischer Sprache anfang 2010 in beiden Städten zur Aufführung.